Wer eine katholische Schule besucht, wird deswegen nicht automatisch ein guter Katholik. Es ist geboten, sich diese Binsenwahrheit von Zeit zu Zeit in Erinnerung zu rufen.
Die Liste unchristlich agierender Persönlichkeiten, welche eine katholische Schule besucht hatten, ist lang: der Schriftsteller Voltaire, die Sängerinnen Lady Gaga und Madonna, die Feministin Simone de Beauvoir, die Politiker Joe Biden, Nancy Pelosi und Mario Draghi. Auch Papst Franziskus hat ein katholisches Institut besucht: Er war Schüler bei den Salesianern. Don Bosco hätte wohl schlechter geschlafen, wenn er gewusst hätte, dass ein Schüler seines Werkes dem Papsttum und der Kirche dermaßen viel Schaden zufügen würde, wie wir heute mitansehen müssen.
Um aus den Fehlern der Vergangenheit lernen zu können, ist es hilfreich, auch denjenigen Menschen Gehör zu schenken, bei welchen der Besuch einer katholischen Schule in religiöser Hinsicht nicht die erwünschten guten Früchte gebracht haben.
Im Folgenden zitieren wir aus den Erinnerungen des Schweizer Schriftstellers Thomas Hürlimann, welcher zwischen 1963 und 1971 die Stiftsschule Einsiedeln besucht hat:
«Meine Jugend verbrachte ich in der Klosterschule. […] Im Alter von fünfzehn Jahren gründeten wir einen Atheistenclub. Wer Mitglied werden wollte, musste eine Aufnahmeprüfung bestehen, und weil das auch für uns galt, das Gründungskomitee, stieg ich an einem Sonntag, während unten in der Kirche das Hochamt zelebriert wurde, mit klopfendem Herzen in den von Tauben durchflatterten Dachstuhl der Klosterkirche hinauf, kletterte auf die Außenwölbung der sogenannten Weihnachtskuppel, robbte mich an eine kleine, kraterähnliche Öffnung heran, und dann — mein Herz raste jetzt — stieß ich durch den Zenit der Kuppel ein Papierflugzeug ins Kirchenschiff hinunter. Seine Flügel waren mit einem Nietzsche-Wort beschriftet: Die Religion sei der ,Wille zum Winterschlaf‘. Ich beugte mich über den Kraterrand und sah zu, wie der Papierflieger in Kreisen hinunterschaukelte, wie er, von der Wärme der betenden Masse getragen, wieder ein wenig Höhe gewann und nur langsam tiefer ging, kleiner werdend, ein heller, schließlich verschwindender Punkt. Noch sah ihn niemand. Die Zöglinge, die Präfekten, das Wallfahrtsvolk — alle schauten andächtig nach vorn, wo der Priester gerade die Hostie hob, hoc est corpus, das ist mein Leib. Der Papierflieger landete, und er schlug ein wie eine Bombe! Am nächsten Sonntag kam wieder ein Satz geflogen, wieder bestand ein Zögling die Aufnahme in den Atheistenclub, und es soll mir bitte niemand sagen, man könne mit Literatur nichts bewirken!»
(Thomas Hürlimann, Das Holztheater, 1997)
Wer noch mehr Anekdoten aus Hürlimanns Internatszeit in der damals noch katholischen Innerschweiz erfahren möchte, dem sei das Hörbuch «Einsiedeln» empfohlen, in welchem der Schriftsteller über seine Erinnerungen an Kindheit und Jugend im Kloster berichtet.
Und dennoch:
Erfahrungswerte und Statistiken darauf hin, dass der Besuch einer gut geführten katholischen Schule der Tradition, in welcher die christliche Religion nicht nur Anhängsel vergangener Zeiten ist, sondern von den Erziehern und Lehrpersonen ernst genommen und glaubwürdig gelebt wird, die Wahrscheinlichkeit spürbar erhöht, dass Jugendliche auch im Erwachsenenalter aus dem Glauben leben.
Es sei hier auch auf eine interessante US-amerikanische Studie verwiesen, welche nicht aus dem Umfeld der Tradition stammt und deren Resultate nahe legen, dass Absolventen katholischer oder evangelikaler eine deutliche größere Wahrscheinlichkeit haben, eine stabile Familie zu gründen, als dies bei Gleichaltrigen der Fall ist, welche eine öffentliche Schule besucht haben.