Don Bosco: Was für Strafen angewandt werden können

Don Pietro Ricaldone, vierter Nachfolger Don Boscos an der Spitze der Salesianer, war der letzte Generalobere, welcher den Ordensgründer noch persönlich gekannt hatte. Bis kurz vor seinem Tod arbeitete er an einer Zusammenstellung von Aussagen Don Boscos, welche er unter dem Titel “Don Bosco Educatore” kommentierte und veröffentlichen ließ. Es ging Don Ricaldone darum, den Mitglieder seines Ordens die pädagogischen Prinzipien des Gründervaters vertraut zu machen. Der nun folgende Abschnitt aus dem Buch beschäftigt sich mit der Frage, welche Strafen in den salesianischen Instituten angewandt werden sollen.

„Aber darf denn nie von Strafen Gebrauch gemacht werden? Ich weiß, meine Lieben, dass Gott sich selber mit einer Rute vergleichen wollte, um uns auch aus Furcht vor der Strafe von der Sünde zurückzuhalten. Auch wir sollen daher sparsam und weise das Verhalten Gottes nachahmen, das er uns mit diesem Bilde zeichnen wollte. Wenden wir also diese Rute an, aber mit Verständnis und Liebe, damit unsere Strafe zu bessern imstande ist. Bedenken wir, dass die Gewalt den Fehler bestraft, aber den Fehlenden nicht heilt. Die Pflanze pflegt man nicht durch rauhes Zugreifen und den Willen erzieht man nicht, wenn man ihn durch ein schweres Joch bedrückt. Hier zähle ich eine Reihe von Strafen auf, die ich allein unter uns angewandt sehen möchte. Eines der kräftigsten Zuchtmittel ist der unzufriedene, ernste und traurige Blick des Oberen, der den Schuldigen, so unverständig er sein mag, erkennen lässt, dass er in Ungnade gefallen ist, und ihn zur Reue und Besserung auffordern kann. Dann private väterliche Zurechtweisung; dabei mache man dem Zögling nicht zu viele Vorwürfe, man halte ihm den Verdruss der Eltern vor Augen und äußere die Hoffnung, dass er seinen Fehltritt gutmacht. Auf die Dauer wird er sich genötigt sehen, sich dankbar und großmütig zu zeigen. Fällt er zurück, so wollen wir ihm unsere Liebe doch nicht entziehen; man führe eine ernste und entschiedene Sprache und mache ihn zum Beispiel aufmerksam auf den Unterschied seines Benehmens gegenüber dem, das man gegen ihn an den Tag legt, der eine solche Güte und solche Sorgen, ihn vor Schande und Strafe zu bewahren, so schlecht vergelte. Doch gebrauche man keine demütigenden Ausdrücke, lasse erkennen, dass man Hoffnung auf ihn setzt, und erkläre sich bereit, alles zu vergessen, sobald er Zeichen einer besseren Führung gegeben habe.

Bei schwereren Verfehlungen kann man zu folgenden Strafen greifen: den Delinquenten stehend an seinem Platz oder an einem eigenen Platz des Tisches essen lassen; ihn essen lassen in der Mitte oder am Eingang des Speisesaals. Aber in all diesen Fällen werde ihm alles verabreicht, was die anderen bekommen. Eine schwere Strafe ist es, ihm die Freizeit zu entziehen; doch soll er nie der Sonne oder den Unbilden der Witterung ausgesetzt werden, damit seine Gesundheit keinen Schaden leidet.

Einen Schüler während eines Tages in der Schule nicht drannehmen, kann eine schwere Strafe sein, aber weiter gehe man nicht. Inzwischen suche man ihn dahinzubringen, seinen Fehler gutzumachen. Und was soll ich euch sagen von den Strafaufgaben? Diese Strafe ist leider zu häufig. Ich habe über diesen Punkt die Meinung der berühmtesten Erzieher befragt. Die einen billigen diese Strafe, andere missbilligen sie als eine für Lehrer und Schüler unnütze und gefährliche Sache. Ich selber lasse euch in diesem Punkte Freiheit, bemerke aber, dass für den Lehrer große Gefahr besteht, hierin das rechte Maß zu überschreiten, und dies würde dem Schüler keinen Nutzen bringen, gäbe ihm aber Anlass zum Murren und seinen Mitschülern Grund, ihn wegen der scheinbaren Verfolgung durch den Lehrer zu bemitleiden. Die Strafaufgabe macht nichts gut und ist immer drückend und beschämend. Ich weiß, da manche unserer Mitbrüder das Auswendiglernen eines Gedichtes aus dem religiösen oder profanen Liederschatz aufgeben und dadurch eine größere Aufmerksamkeit und einen geistigen Gewinn erreichten. Da bewahrheitete es sich, dass denen alles zum Guten gereicht, die Gott allein suchen, seine Ehre und das Wohl der Seelen. Einem Mitbruder gelangen sogar durch solche Aufgaben Bekehrungen, aber dies halte ich für einen besonderen Segen Gottes und für einen eher einmaligen als seltenen Fall, aber er hatte diesen Erfolg, weil er aus Liebe handelte und dies erkennbar war.

Nie aber mache man Gebrauch von der sogenannten Besinnungskammer. Die Wut und das Gefühl der Erniedrigung, die den Zögling bei einer solchen Strafe erfassen, machen ihn zu allem fähig. Der Teufel erlangt durch diese Strafe eine heftige Gewalt über ihn und treibt ihn zu bösen Streichen an, durch die er sich an dem zu rächen sucht, der ihn in solcher Weise bestrafen wollte.“

An dieser Stelle seines Rundbriefs angelangt, macht unser Vater folgende Bemerkung:

„Für den Fall, dass in dem einen oder anderen Haus ausnahmsweise und nur bei absoluter Notwendigkeit von dieser Freiheitsberaubung Gebrauch gemacht werden muss, will ich einige Vorsichtsmaßregeln angeben. Der Katechet oder ein anderer Oberer besuche häufig den armen Delinquenten und suche mit Worten der Liebe und des Mitleids Öl in sein verbittertes Herz zu gießen. Er beklage seine Lage und bemühe sich, ihm zu verstehen zu geben, dass alle Obern betrübt seien, dass sie zu diesem äußersten Mittel hätten greifen müssen, und bestimme ihn, um Verzeihung zu bitten, sich zu unterwerfen und darum nachzusuchen, dass man einen anderen Versuch mache, ihn zu bessern. Wenn es scheint, dass diese Strafe ihre Wirkung hervorbringt, enthebe man ihn selbst vor der Zeit und so wird es sicher gelingen, sein Herz zu gewinnen. Die Strafe muss ein Heilmittel sein; daher müssen wir uns beeilen, sie nachzulassen, sobald wir den doppelten Zweck erreicht haben, das Übel zu beseitigen und seine Wiederholung zu verhindern. Kann man so die Verzeihung gewähren, dann erlangt man zugleich auch den kostbaren Vorteil, dass die dem Herzen des Buben geschlagene Wunde leichter vernarbt; man lasse ihn sehen, dass er das Wohlwollen seines Obern nicht verloren hat, dann wird er sich um so eher dazu verstehen, seine Pflicht zu tun.“

Nach dieser Bemerkung fährt Don Bosco fort:

„Bei den bisher erwähnten Strafen kamen nur Verfehlungen gegen die Disziplin des Hauses in Frage; aber in den schmerzlichen Fällen, wo ein Zögling schweres Ärgernis gäbe oder Gott beleidigte, werde er unverzüglich zum Direktor geführt, der in seiner Klugheit die Maßnahmen ergreifen wird, die er für notwendig hält. Sollte sich einer gegen alle diese weisen Besserungsmittel taub stellen und durch sein schlechtes Beispiel weiterhin zum Ärgernis gereichen, dann muss er unnachsichtlich entlassen werden, doch so, dass seine Ehre möglichst geschont wird. Dies wird dadurch erreicht, dass dem Jungen angeraten wird, selber die Eltern um einen Wechsel der Anstalt zu bitten; so lässt man diesen die Hoffnung, dass ihr Sohn sich vielleicht anderswo besser machen wird. Dieser Akt der Liebe pflegte zu allen Zeiten eine gute Wirkung hervorzubringen und hinterlässt, auch bei gewissen peinlichen Anlässen, ein gutes Andenken sowohl bei den Eltern als auch bei den Zöglingen.“


Quelle:
Don Peter Ricaldone: Der heilige Johannes Bosco als Erzieher.
Provinzialat der Salesianer, München 1956.